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Mein Vorsatz für 2019: nachhaltig bei Erholung helfen

    Toni Morrison schrieb vor über 40 Jahren: »Die eigentliche Funktion von Rassismus ist, Dich von der Arbeit abzuhalten. Indem du immer wieder deine Daseinsberechtigung verhandeln musst, immer wieder von vorne. …«

    *[K]now the function, the very serious function of racism, which is distraction. It keeps you from doing your work. It keeps you explaining over and over again, your reason for being. Somebody says you have no language and so you spend 20 years proving that you do. Somebody says your head isn’t shaped properly so you have scientists working on the fact that it is. Somebody says that you have no art so you dredge that up. Somebody says that you have no kingdoms and so you dredge that up. None of that is necessary. There will always be one more thing." Toni Morrison, Portland State, ‘Black Studies Center public dialogue. Pt. 2,” May 30, 1975.

    Wenn meine Arbeit darin besteht, Hilfe bei Heilung und Diskriminierungsabbau zu betreiben, muss ich beides als Perspektive, als langfristige und dauernde Handlung verstehen. Dafür ist Konsequenz nötig. Wie in allen Vorträgen und Seminaren der letzten Jahre so oft wiederholt: Diskriminierungsabbau ist nicht, den Diskriminierten weniger Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen als denen, die ohnehin schon überall bevorzugt werden.

    Im kommenden Jahr werde ich viel im Ausland sein. Die Zeit, die ich in Deutschland zubringe, will ich der *direkten* Empowermentarbeit noch viel mehr widmen als bisher. Lernhilfen, um den Themenkomplex Rassismus zu verstehen, gibt es inzwischen reichlich inform von Büchern, Videos Hörbüchern, usw. Nichtwissen über gesellschaftliche Verhältnisse ist in unserem Informationszeitalter selbst gewählt. Jede Person, die leidenschaftlich gerne etwas über Bonsaizucht oder Aluminiumfelgen erfahren will, geht online oder in die Bücherei, informiert sich dort darüber und beginnt zu üben. Nur auf dem Gebiet struktureller Unterdrückung wird erwartet, dass die Unterdrückten vorbei kommen, um ihre Unterdrückung zu verhandeln. Dies zu durchbrechen, ist Diskriminierungsabbau.

     

    Das gesellschaftliche Tabu, so meine ich, besteht für uns nicht darin, gegen Unterdrückung zu kämpfen. Ganz im Gegenteil wird der Kampf gegen Unterdrückung als unser „natürlicher Ort“ aufgefasst und affirmiert. Das Tabu ist vielmehr, dass wir uns weigern, diesen Kampf bis zur Selbstaufgabe und Selbstzerstörung zu führen. Wir werden in ihn hinein ver-ortet und bekommen den Eindruck vermittelt, dass dieser Kampf unser richtiger Platz sei. So bemerken wir möglicherweise gar nicht, dass dadurch alle unsere Energien gebunden werden und wir nicht dazu kommen, unseren eigenen Ausdruck zu finden und zu verfolgen. Das soll nicht heißen, dass die Alternative Egoismus sein muss, sondern lässt sich formelhaft so verstehen: die Zeit, die ich damit verbringe, meine Menschenwürde zu verhandeln, verbringe ich nicht damit, die Dinge zu tun, die mich fühlen lassen, wer ich eigentlich bin. Letzteres betrachte ich aber als Voraussetzung dafür, überhaupt mittelfristig handlungsfähig zu sein, bzw. zu bleiben oder zu werden.

    Zerrüttete Personen, die sich die ganze Zeit von Neuem am Einmaleins aufreiben und handlungspolitisch keine Grundsätze, Wege und Fortschritte aufzeigen, empowern die nächsten Generationen kaum. Und einen Versuch, sich gleichzeitig auf einander entgegengesetzte Bedürfnisse zu konzentrieren, möchte ich mir (und der Öffentlichkeit) gern ersparen. Weniger zeitlich-ökonomisch ausgedrückt: Wem soll die Zuwendung hauptsächlich gelten und für wen will ich arbeiten? Diese Fragen habe ich mir schon vor längerer Zeit selbst beantwortet und versuche seither stetig, mich dabei weiterzuentwickeln, darin konsequenter und besser zu werden. Ein Ergebnis davon ist, dass ich mich auf die direkte Arbeit für Communities konzentrieren will.

    Die Grundvoraussetzungen dafür, dass in Deutschland Heilung von Rassismus überhaupt stattfinden kann, müssen erst noch geschaffen werden. In einer Umgebung, die andauernd gleichzeitig brutalisiert und die Brutalisierung abstreitet, die geschichtlich tief eingebettet ist in Gewaltausübung und dieses Geschichtswissen im Alltag verdrängt, die uns gleichzeitig fetischisiert und unsere Existenz[berechtigung] verneint, sind unser psychisches Überleben und unsere Genesung und Heilung noch immer radikal politisch, unerhört, essentiell und existenziell. Genauer betrachtet für die gesamte Gesellschaft. Ich habe das Glück und die Unterstützung erfahren, in Sachen Selbstermächtigung/Empowerment und Stabilität sehr weit zu kommen. Jetzt wird es Zeit, das Gelernte zu teilen und Raum zu schaffen für das Besprechen und Bearbeiten der tabuisierten Themen; Zeit für diese in Deutschland leider noch viel zu sehr vernachlässigten Aspekte von Communityarbeit.

    Für Manche mag es „Entspannung“ heißen, für andere ist es das schiere Überleben des Nervenkostüms. Wir können mitunter recht schnell feststellen, wo wir noch nicht von Kolonialisierung frei sind: in Konzepten von Fürsorge, Selbstfürsorge, ja sogar Grundbedürfnissen, die gesellschaftlich normalisiert sind, aber im Bezug auf Schwarze Menschen auf einmal Tabus darstellen. Es sind die Dinge, über die zu sprechen (oder sogar nachzudenken) wir uns *schämen* sollen. Die wir schnell aus den Gedanken verbannen, vielleicht weil der Wunsch zu vermessen scheint, vielleicht weil die Beschämung funktionierte, vielleicht aus Angst (oder Erpressung) davor, als „egoistisch“ zu gelten. Ein paar Beispiele: Trost, Spiritualität, Hingabe, Entspannung.

    Räume, in denen wir hierüber sprechen können, gibt es kaum. In Großstädten können genügend Freund_innen zusammen kommen und sich im Wohnzimmer treffen. In der Vereinzelung von Dorf und Kleinstadt – wo Schwarze Menschen am meisten Unterstützung nötig haben – sieht es dagegen anders aus. Fast allen Orten gemeinsam ist, dass es keinerlei Strukturen gibt für eine intergenerationelle und intersektionale Begleitung in Fragen und Belangen von Körper-und-Geist, Nervenkostüm, Psyche, Lifestyle im diskriminierenden Umfeld, seelischem Gleichgewicht und spirituellen Fragen die unsere Lebensumstände aufwerfen. Für alles das ist es sehr schwer, Gelder und Ressourcen zusammenzubekommen. Unter anderem weil die Arbeit zur Genesung der von Rassismus Betroffenen traurigerweise immer noch von vielen nicht als Diskriminierungsabbau erkannt wird (dabei ist diese Arbeit das Fundament von Diskriminierungsabbau).

    Aber das soll kein Hindernis sein. Lasst uns diese Räume schaffen! Aktivismus und Communityarbeit haben sich von fehlender Unterstützung bislang durchweg eher provozieren als abhalten lassen. Wenn die Generationen, die sich vor uns für Menschenrechte und deren Umsetzung eingesetzt haben, immer erst gewartet hätten, bis sie umfangreiche Hilfe aus der Mehrheitsgesellschaft bekommen, wären wir heute noch in der Steinzeit. (An alle, die das lesen und finden, dass wir heute schon weiter sind: macht Ressourcen locker für Genesungsarbeit.)

     

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