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Offener Brief: Liebe Schüler_innen, die mich für „Schule ohne Rassismus“ eingeladen haben,

    (veröffentlich im Juni 2015)

     

    Liebe Schüler_innen, die mich für „Schule ohne Rassismus“ eingeladen haben,

    Sehr gerne würde ich Euch kennenlernen und mich mit Euch treffen. Wir müssen dafür aber eine andere Gelegenheit finden.
    Denn das Projekt „Schule ohne Rassismus“ möchte ich aufgrund seiner Betitelung und Konzeption nicht unterstützen.

    Ich finde rassismuskritische Arbeit an Schulen überaus wichtig.

    Das Label „ohne Rassismus“ verhöhnt jedoch regelmäßig all die Schülerinnen und Schüler, die an Schulen mit einem solchen selbst verliehenen Slogan mit Aufkleber auf der Schultür nach wie vor Diskriminierungen ausgesetzt sind, sei es durch Lehrmaterial, mangelnde interkulturelle Lehrkompetenz oder ganz einfach in Interaktion mit anderen Schüler_innen. Dass die Schule sich selbst attestiert, „Ohne Rassismus“ zu sein, ist auch nach Projekttagen noch kontraproduktiv. Der Titel ist zudem dazu geeignet, die Institution weniger angreifbar zu machen und eine gründliche Selbstanalyse sowie weitere Veränderungen leichter zu verhindern. Da bei den Aktionsformen keine bindenden Lehrer_innenfortbildungen beinhaltet sind, das Lehrmaterial nicht revisioniert wird, und die institutionelle und strukturelle Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern of Color nicht so einfach per Proklamation beendet ist, kann ein Erreichen des Ziels, als Institution „ohne Rassismus“ zu sein, nicht als gelungen behauptet werden.

    Zudem kann der Slogan sogar zur Abwehr von Kritik verwendet werden. Ich bekomme leider oft von solchen Fällen berichtet. Manche Schüler_innen werden weniger als zuvor angehört, nach dem Motto „an deinen Berichten, dass du diskriminiert wurdest, kann nichts dran sein, denn wir sind eine Schule ohne Rassismus“.

    Das Problem eines rassistischen Status Quo ist nicht, dass die Schulen sich nicht deutlich genug gegen Diskriminierung aussprechen würden, sondern die Einhaltung, oder genauer: die Erlangung des Wissens, und dann dessen Umsetzung zur Auflösung von Diskriminierung und Rassismus. In der Praxis geht es eigentlich nicht darum, was laut als unerwünscht durchgesagt wird, sondern vielmehr darum, was konkret verbindlich verankert wird, z.B. wie das Lehrmaterial genau aussieht, wer was im Unterricht erzählt, wer (nicht) antirassistisch geschult ist, welche Anlaufstellen es für diskriminierte Schüler_innen vor Ort gibt, wie diese Anlaufstellen qualifiziert sind – eben wie genau, wie ernst gemeint und wie umfassend die betreffende Schule Diskriminierung entgegengewirkt .

    Es wäre viel glaubwürdiger, und weniger auf eine Gewissensberuhigung der Mehrheitsgesellschaft zugeschnitten, mit der Signalwirkung, dass die Lebensrealitäten von Schüler_innen of Color ernst genommen werden, wenn nicht zuvorderst das sich selbst feiernde Signal aus der Projektbenennung titelte. Jedoch ist mit dem Slogan „Hier bei uns gibt es so was nicht! Wir sind hier alle super!“ leider nichts von alledem erreicht oder auch nur angestrebt. Er kann auch verstanden werden als „So, und jetzt wollen wir uns vor allem nicht mehr kritisieren lassen.“. Mir ist bewusst, dass die durchführenden Schülerinnen ja gerade nicht diejenigen sind, die sich eine solche Abwehr dann zuvorteil machen (wollen), doch ich denke, dass es durch die Struktur und den Titel den Schulen sehr leicht gemacht wird, das Engagement der Schülerinnen für eine Profilierung auszunutzen, ohne ohne dass dazu wirkliche Veränderungsbereitschaft zwingend notwendig wäre.

    Auch finde ich es bedenklich, dass die Projekttage von Schüler_innen – oft von sehr jungen, und ebenfalls oft mit erlebter rassistischer Diskriminierung – gestaltet werden, aber für Lehrende keine verbindliche rassismuskritische Bildung, Schulung oder Fortbildung vorgeschrieben ist. Ich finde diese Verteilung nicht zielführend und nicht gerecht, und sie erweckt bei mir den Eindruck, dass die Arbeit zu einseitig verteilt ist und die Lehrenden gar kein rassismusfreieres Lehren anstreben müssen, wenn sie darauf keine Lust haben, egal wie sehr die Schüler_innen oder Aktivist_innen sich anstrengen.

    Ich habe großen Respekt vor Eurem zivilem Einsatzwillen und allen, die sich ehrenamtlich für Gleichbehandlung engangieren, und ich wünschte, es würde dafür ein Projektname gefunden, der respektvoller ist, und eine Form, die die Lehrenden und die Institution mindestens genau so stark in die Verantwortung nimmt wie die Schüler_innen.

    Ich wünsche Euch bei allen Veranstaltungen viel Erfolg und bitte um Verständnis für meine konzeptionelle ‚Enthaltung‘.

    freundliche Grüße,

    Noah Sow

     

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