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»Deutschland Schwarz Weiß« zu schreiben, war mein Trick. – Ein Einblick in persönliche Motive 8 Jahre nach Veröffentlichung

    Ein Kernbestandteil von Rassismus ist, dass er ein System erschafft, in dem die, die unterdrückt werden, dazu angehalten werden, denen, die von dieser Unterdrückung profitieren, geduldig das Phänomen zu erklären. Tun wir es, wird dadurch unsere ganze Energie gebunden und wir arbeiten uns an anderer Leute Defiziten ab. Erklären wir nicht, werden wir für den Fortbestand der Unterdrückung ursächlich mitverantwortlich gemacht. Es ist eine Verhaftung, in der wir nichts zu gewinnen haben. Eines meiner Motive, damals »Deutschland Schwarz Weiß« zu schreiben, war, aus ihr auszubrechen.

    Seitdem verspüre ich nicht mehr den Druck, auf Zuruf die Geschichte und Funktionsweise systematischer Entmenschlichung zu erklären. Ich bin befreiter und kann meine Zeit und Energie eigenen Interessen zuwenden. Meine Hoffnung war, dass das Buch vielleicht noch ein paar mehr Menschen dabei helfen würde, dass sie das ebenfalls so halten können. Dass das Buch dabei assistieren kann, dass die dauernde Anforderung, die eigene Unterdrückung zu erklären, nicht mehr belastet, wenn sie transzendiert oder einfach durchgereicht werden kann.

    Die Gesellschaft sozialisiert uns so, dass wir Schuldgefühle haben sollen, wenn wir nicht unser eigenes Trauma ständig bereitwillig vor allen möglichen Leuten ausbreiten, erörtern und zur Debatte stellen. Es kann schwer sein, sich dem zu verweigern, es bedeutet andauernden Widerstand.

    Wenn wir die eigenen Bedürfnisse nicht spüren, finden wir nie heraus, dass sie wahrscheinlich nicht „Jochen gewaltlose Kommunikation beibringen“ heißen, sondern „mit Schwester spazierengehen“. Die als notwendig empfundene, reflexhafte oder eingeredete Reaktion auf eine Belastung ist nicht dasselbe wie ein eigenes Bedürfnis, eigenes Interesse. Vieles um uns herum arbeitet dafür, dass wir uns dessen nicht bewusst werden.
    Sobald wir in engem Kontakt stehen mit dem, was uns gut tut, und wer wir eigentlich sind, sind wir automatisch frei. Erst dann haben wir Wahlmöglichkeiten und handeln aus eigenem Antrieb. Vorher sind wir reaktiv und tendenziell getrieben.

    »Deutschland Schwarz Weiß« zu schreiben, war mein Trick. Ich wollte nicht mein Leben lang Widerstand leisten müssen – vor allem nicht auf Zuruf – und ich wollte keine einseitigen Anspruchskulissen erfüllen. Ich wollte, dass die Tatsache, dass ich asymmetrische Gesellschaftsphänomene gut erklären, verdeutlichen und zusammenfassen kann, nicht länger die automatische (gefühlte) Dauerlast mit sich bringt, das auch andauernd tun zu müssen. Meine Hoffnung war: „Schreib das jetzt einmal für alle auf, und dann erlaubst du dir, nur noch darüber zu sprechen, wenn du wirklich möchtest.“

    Über die Funktionen und Dynamiken von Rassismus wurde schon lange unfassbar vieles gesagt und geschrieben. Die Wissensarchive lassen sich in einer Lebenszeit kaum durchlesen und aufnehmen. Analysen, die ohne Änderung anwendbar sind auf Situationen, die uns heute noch das Leben schwer machen, sind regelmäßig hundertfünfzig Jahre alt. Dass es immer noch Rassismus gibt, liegt nicht daran, dass Informationen fehlen würden. Es liegt am selbstgewählten, freiwilligen Nichtwissen. An einem angestrengten Ausblenden all der Informationen.

    Es liegt auch an der Charakterschwäche derer, die es gut finden und uns belohnen, wenn wir auf Aufforderung über unsere Leiden sprechen, im Forum leiden, auf dem Podium leiden, im TV leiden, und folgsam zum ergötzenden Emotionaltourismus beitragen „- Das hat mich jetzt wirklich bewegt“, wenn wir wieder und wieder um Verständnis bitten, immer und immer Biografisches und Traumatisches ausbreiten und bereitwillig Grundlagen erklären, für die es tausende FAQ Seiten gratis online gibt. Es muss sich anfühlen wie die ultimative Macht und Kontrolle. Schau, wie sie sich bemühen. Wie wir ihre ganze Aufmerksamkeit haben. Wie sie sich aufreiben.

    Einem rassistischen Sprichwort und ebensolcher Sozialisierung zufolge, konnte ich mir selbst erst erlauben, aus diesem Tanz auszusteigen, nachdem ich das Gefühl erlangen konnte, „meine Schuldigkeit getan“ zu haben. Das ist für sich betrachtet schon gravierend und sagt eigentlich mehr über die Wirkungsweise von Rassismus in der Gesellschaft aus, als hunderte Seiten Text das können.